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Worte eines Bewunderers

Der britische Geiger Daniel Hope hat bereits eine ganze Reihe von Violinwerken Alfred Schnittkes beim Label Nimbus (Auslieferung durch Naxos Deutschland) eingespielt, die ausnahmslos hochgelobt wurden:

Alfred Schnittke: Sonate Nr. 3 für Violine und Klavier / „Stille Nacht“ für Violine solo

NI 5631

Alfred Schnittke: Sonate für Violine und Kammerorchester / Concerto grosso Nr. 6 für Klavier, Violine und Streichorchester

NI 5582

Über seine erste Begegnung mit dem Komponisten und seine Begeisterung für dessen Musik berichtet Daniel Hope:

„Im Sommer 1989, im Alter von 15 Jahren, stieß ich das erste Mal auf die Musik von Alfred Schnittke. Ich war auf einem Meisterkurs des Schleswig-Holstein Musik Festivals, als ein Mitstudent die Violinsonate Nr. 1 in einem Konzert aufführte, jenes Werk, das Sie auf meiner CD hören; aber in seiner Originalfassung für Violine und Klavier. Von diesem Moment an, wollte ich nichts lieber als diese Musik spielen. Der Violinist spielte von einer kaum leserlichen handkopierten Partitur, und ich erinnere mich daran, nach dem Konzert an ihn herangetreten zu sein, und ihn angefleht zu haben, mir die Noten zu kopieren.

Das folgende Jahr auf demselben Sommerkurs, aber dieses Mal unter der Leitung meines neuen Lehrers, Zakhar Bron, war ich der Student, der dieses gleiche Werk im Konzert spielte. An diesem Abend begann meine "Affäre" mit Schnittkes Musik.

Während des folgenden Jahres tauchte ich in jede Arbeit von Schnittke, die ich finden konnte. Glücklicherweise existierte ein riesiges Repertoire für Geige. Nach den zwei Violinsonaten (es gibt jetzt eine dritte) kam das Klavierquartett, Streichtrio, Klavierquintett, dann die Concerto Grossi und zum Schluss die Violinkonzerte.

Im Juli 1991 trat ich mit der Sonate Nr. 1 in Deutschland auf. Am Ende des vorletzten Konzertes erreichte mich eine Nachricht, dass Schnittke plötzlich an einem Schlaganfall gestorben sei. Ich hatte gehört, dass er schon 1985 einen Schlaganfall erlitten hatte, aber sich schnell erholte. Das enorme Gefühl der Traurigkeit, die mit der Enttäuschung darüber verbunden waren, dass ich die Chance nie gehabt hatte, ihn zu treffen und mit ihm zu reden, war für mich überwältigend.

Doch dann stellte sich heraus, dass die Berichte über seinen Tod eine ‘Übertreibung’ waren - vielleicht ein Streich, getrieben von seinen alten Feinden, dem flüchtenden KGB, die so lange seine Musik verachtet hatten. Er war am Leben ... gerade noch. Wie Alexander Ivashkin in seinem ausgezeichneten Buch über Schnittke sagt, “es war eine schwere Blutung des Kleinhirns ... aber sein schneller Wiederaufschwung war ein Wunder; bis zum 20. September war er wieder zu Hause, und hat alle Vorschläge für eine Rehabilitationsbehandlung eindeutig abgelehnt”. Offensichtlich würde ihn so etwas Triviales wie der Tod nicht aufhalten, seine Musik zu schreiben! Trotz der bleibenden Lähmung und der Sprachbehinderung war er um so entschlossener weiter zu komponieren.

Das Koma, das sich aus Schnittkes erstem Schlaganfall im Juli 1985 ergab, war die Quelle der Inspiration nach der Fertigstellung seines Konzerts für Viola, das er Yuri Bashmet widmete. Wie Bashmet mir sagte, hatte Schnittke zugegeben in dem Konzert “zu weit gegangen zu sein” und musste so in seinen eigenen Worten “dafür bezahlen”.

Im August 1992 habe ich mich mit dem Pianisten Alexei Lubimov und anderen Kollegen getroffen, um ein Schnittke-Kammermusikkonzert in der Schweiz zu geben. Das Konzert wurde vom Schweizer Rundfunk aufgenommen. So bin ich, ausgerüstet mit dem Band des Mitschnittes, an einem eiskalten Novemberabend losgezogen, um Schnittke zu treffen. Bis dahin war jeder Versuch seine Bekanntschaft zu machen, ein Reinfall gewesen.

Es ereignete sich ein Zufall zu meinen Gunsten. Wir lebten beide in Hamburg, und es war letztlich diese einfache Tatsache, die unsere Pfade zusammen führte. Bei einer Dinnerparty hörte ich am Abend, wie einige Leute prahlten, dass ein berühmter Komponist in ihrem Haus lebt. Ich sollte an dieser Stelle vielleicht hinzufügen, dass Hamburg zu diesem Zeitpunkt mit bedeutenden Komponisten selten gut ausgerüstet war, u.a. Ligeti und Gubaidulina. Jedoch spitzte ich meine Ohren! Ich merkte bald, dass sie tatsächlich über Schnittke redeten, und meinen ganzen Mut zusammen nehmend, fragte ich sie, wo er wohne.

Da sie mir keine Telefonnummer geben konnten, fand ich mich am nächsten Abend nervös vor seiner Haustür wieder. Ich läutete an der Klingel, und die Tür wurde von einer Dame aufgerissen, die ich sofort als Schnittkes Frau, Irina, wiedererkannte. Mit einer nervösen Stimme stellte ich mich vor, habe mich zutiefst für die unhöfliche und vor allem unangekündigte Störung entschuldigt und fragte, ob ich einige Worte mit dem Professor wechseln könne! Zu meinem Erstaunen wurde ich sofort mit breiten Lächeln hereingeführt, und da, vor mir stand ein kleiner, leicht gekrümmter Mann, der mir seine Hand entgegen hielt und einfach "Schnittke" sagte.

Ich erinnere mich an seine beißenden Augen, die direkt durch mich zu schauen schienen. Mindestens eine Minute lang war ich völlig sprachlos. Schnittke nahm meinen Arm und brachte mich, mit beträchtlichen Schwierigkeiten in sein Wohnzimmer. Ich sagte, dass ich ein Violinist und ein großer Bewunderer seiner Musik sei. Ich gab ihm die Kassette vom Kammermusikkonzert aus der Schweiz, und bei der Erwähnung von Alexei Lubimov begannen seine Augen sofort zu leuchten und forderten Nachrichten von seinem alten Freund. Ich sagte, dass ich ihm sehr dankbar wäre, wenn er die Kassette anhören würde und mir sagen könne, ob wir den Stil und die Überzeugung seiner Musik getroffen hätten.

Er wollte alles über mich wissen, was genau ich von ihm aufgeführt hätte, wann und mit wem. Ich hatte eine besondere Frage über die Verwendung des Cembalos in der Orchesterfassung der Sonate Nr. 1 gegenüber dem Klavier in der Kammermusikversion. Ich erinnere mich, wie er plötzlich nervös wurde, als kämpfe er darum sich zu erinnern, welches Werk ich überhaupt meinte. Es war ein sehr wehmütiger Moment, besonders weil er sich dafür andauernd entschuldigte. Wir verbrachten die nächsten zwei Stunden in tiefster Diskussion, bis ich bemerkte, dass er sehr müde wurde und entschuldigte mich. Zu meiner Freude bat er mich darum, ihn einige Tage später anzurufen. Dies war der Anfang einer Reihe von Besprechungen und langwierigen Diskussionen mit Alfred Schnittke, die in Hamburg zwischen November 1992 und März 1994 stattfanden.

Im August 1993 spielte ich das Concerto Grosso Nr. 3 mit meinem Freund Erik Houston, bei den Luzerner Festwochen. Das Konzert wurde von Schnittkes engem Freund, Saulius Sondeckis dirigiert, zusammen mit dem Litauischen Kammerorchester, das die Weltpremiere vom gleichen Werk im April 1985 aufgeführt hatte. Schnittke war damals als Cembalist in diesem Orchester, das erste Mal in der Lage gewesen, 1977 in den Westen zu reisen, und wir waren alle sehr aufgeregt, Gerüchte zu hören, das Schnittke persönlich unser Konzert in Luzern besuchen würde.

Zu unserer Freude kam er in der Tat mit seiner Frau und redete anschließend lange mit uns. Seine Musik unter seiner Anwesenheit zu spielen, war einer der besonderen Momente meines Lebens.

Im Herbst 1993 wurde ich von dem Komponisten Paul Patterson angesprochen. Sein Ziel war es, ein Festival mit Schnittkes Musik an der Londoner Royal Academy of Musik zu planen (wo ich zu dem Zeitpunkt auch studierte). Der Anlass dafür war der 60. Geburtstag von Schnittke. Patterson hatte von meiner Bekanntschaft mit Schnittke gehört und fragte, ob es einen Weg gäbe, den Komponisten zu überreden, persönlich zum Festival zu kommen, welches im März 1994 stattfinden sollte. Die Idee war, dass ich als Vermittler und Übersetzer wirken würde.

Zurück in Hamburg zum Violinenunterricht bei Zakhar Bron, besuchte ich Schnittke wieder. Er war über die Einladung hocherfreut und erstaunt, dass die Royal Academy vorhatte, 22 seiner Werke aufzuführen. Er bejahte die Einladung, anwesend in London zu sein, aber unter zwei Bedingungen: zuerst wollte er im Luxus-Hotel Westbury wohnen, außerdem wollte er, dass zwei weitere Komponisten zum Festival eingeladen werden sollten, die auch ihre Werke aufführen sollten. Diese Komponisten waren Vassily Lobanov und Alemdar Karamanov. Karamanov war mir zu diesem Zeitpunkt unbekannt, aber Lobanov kannte ich als einen hervorragenden Pianisten, der unter anderem mit dem großen russischen Violinisten Oleg Kagan viele Konzerte gegeben hatte. Schnittke konnte mir jedoch nicht sagen, wie oder wo ich diese zwei Komponisten finden könnte!

Ein Zimmer im Westbury Hotel zu buchen war kein Problem. Aber ich war unsicher wie Paul Pattersons Antwort darauf sein würde, zwei weitere Komponisten einzuladen, zu einer, im Grunde genommen, “one-man-show”! Wie ich geahnt hatte, stieß ich auf beträchtlichen Widerstand, aber Schnittke war beharrlich, sagte, dass Karamanov den größten Einfluss auf ihn hatte, und dass beide Männer einfach dort sein müssten. Nicht wissend, wo beginnen sollte, bat ich die Komponisten Gerard McBurney und Viktor Suslin telefonisch um Hilfe. So war ich nun in der Lage, beide Komponisten ausfindig zu machen.

Die Aufgabe Lobanov zu finden war relativ leicht, da er in Saarbrücken lebte; aber Karamanov war “irgendwo in Russland”, nachdem ihm nie erlaubt wurde, in den Westen zu reisen. Nach stundenlangen Telefongesprächen wurde es mir möglich Karamanov zum Festival zu bringen. Auf Schnittkes Wunsch sollte ich Werke für Violine und Klavier von Karamanov (das erste Mal, dass seine Musik im Westen aufgeführt werden sollte), sowie die Sonate für Geige und Klavier von Vassily Lobanov - mit dem Komponisten am Klavier - aufführen.

In letzter Minute verschlechterte sich Schnittkes Gesundheit wieder. Nach einer Aufführung seiner siebten Sinfonie in New York mit dem New York Philharmonic Orchestra unter Kurt Masur, stürzte Schnittke und verletzte sich heftig. Am nächsten Morgen war es ihm nicht mehr möglich zu gehen. Bei seiner Rückkehr nach Hamburg sagte er Reisen nach Leipzig, Japan, Aspen, Tanglewood, Sante Fe und endgültig auch London ab. Laut Alexander Ivashkin bedauerte er es am meisten, London zu versäumen.

Mein letztes Telefongespräch mit Schnittke war im April 1994. Ich rief ihn an, um ihm den Erfolg des Festivals mitzuteilen. Er war sehr erfreut, das zu hören - und dass Karamanov die Chance schließlich bekommen hatte, den Westen endlich zu besuchen. Er war allerdings sehr verärgert, dass der BBC Dokumentarfilm von Donald Sturrock über sein Leben, trotz seiner anhaltenden Versuche es zu stoppen, doch gezeigt worden war. Später besuchte ich ihn zum letzten Mal und brachte ihm verschiedene BBC-Mitschnitte vom Festival, wie auch den internationale Beifall, den seine Konzerte ausgelöst hatten. Ein handgeschriebener Brief von Karamanov war auch dabei.

Einen Monat später, am 5. Juni erlitt Schnittke seinen dritten Schlaganfall. Dieses Mal war es sehr viel schwerwiegender, mit einer sehr langsamen Rehabilitation. Während der nächsten vier Jahre war seine Erholung minimal, wie meine zufälligen Begegnungen mit Irina Schnittke in Hamburg-Eppendorf bestätigten. Während ich diese Zeilen schreibe, erreichen mich schon wieder Nachrichten von Schnittkes Tod. Dieses Mal war es leider keine Übertreibung.

Ich werde konstant nach zwei Dingen gefragt. Erstens, Schnittke in einigen Worten zu beschreiben. Es würde diesem großen Komponisten jedoch nie gerecht werden. Zweitens, ob sich seine Musik in der Zukunft halten kann, und wie sie die nachfolgenden Generationen betrachten werden. Zu diesem Thema bevorzuge ich, auf Schnittkes wunderbares eigenes Zitat zurückzugreifen:

“Wie wichtig es ist, sich selber zu kennen! Es gibt enorme Mächte, die in jeder Person lauern, aber viele Leute sterben, ohne diese entdeckt zu haben. Natürlich war es klar, dass Mozart ein Genie war. Aber wir wissen nicht, ob irgend jemand die großen Talente des jungen Wagners vorher sah. Niemand konnte eine Zukunft für den jungen Tschaikowsky garantieren; und es war Rimsky-Korsakov, der Stravinsky verdächtigte, ein äußerst erbärmliches Ohr zu haben. Scheinbar reift Talent nach seinen eigenen Regeln, die niemand kennt. Das ist, warum das Aufkommen von Talent immer auffallend ist, ... ”

Meiner Meinung nach gibt es kein Talent in der zeitgenössischen Musik, das so auffallend ist wie jenes von Alfred Schnittke.“

(Daniel Hope)