Zum Tode von Mstislaw Rostropowitsch
Am 27. April 2007 verstarb der russische Dirigent und Cellist Mstislaw Rostropowitsch in Moskau im Alter von 80 Jahren. Rostropowitsch war mit Klassikern der russischen Moderne wie Sergej Prokofjew, Dmitri Schostakowitsch und Alfred Schnittke und mit Komponistengrößen der ganzen Welt persönlich bekannt und befreundet.
Mstislaw Rostropowitsch war nicht nur einer der bedeutendsten Cellisten des 20. Jahrhunderts, im Laufe seines Lebens hat er sein künstlerisches Spektrum auch durch Dirigate, Kompositionen und Bearbeitungen wesentlich erweitert.
Besonders aufsehenerregend waren unter seiner Leitung beispielsweise die Opernuraufführungen von Alfred Schnittkes „Leben mit einem Idioten“ sowie „Gesualdo“. Rostropowitschs unvergleichliches Cellospiel hat viele zeitgenössische Komponisten zu Widmungskompositionen inspiriert.
Zahlreiche Werke von Komponistenfreunden seiner russischen Heimat sind durch ihn im Westen bekannt und populär geworden. Als Instrumentalist und Dirigent hat er sich besonders für die russische Avantgarde eingesetzt.
In den Jahren 1950 bis 1952 entstand zum Beispiel in engster Zusammenarbeit von Rostropowitsch und Sergej Prokofjew die Sinfonia concertante für Violoncello und Orchester e-moll op. 125. Rostropowitsch war auch der Solist bei der gefeierten Moskauer Uraufführung dieses Werkes. Prokofjews nicht mehr vollendetes Concertino für Violoncello und Orchester op. 128 ergänzte Rostropowitsch nach dem Tod des Komponisten. Von Rostropowitschs einzigartigem Cellospiel nicht minder begeistert zeigte sich Dmitri Schostakowitsch. Im Gegensatz zu Prokofjew ließ er den jungen Mann jedoch keinen Blick in die Partitur werfen, bevor er nicht die letzte Note seines Violoncellokonzerts Nr. 1 zu Papier gebracht hatte.
Alfred Schnittke widmete sein Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 2 Mstislaw Rostropowitsch, den er als „eine der wenigen richtungsweisenden Gestalten der musikalischen Gegenwart“ bezeichnete.
Über 70 Widmungskompositionen
Mstislaw Rostropowitsch gründete ein Duo mit dem ebenso legendären Pianisten Svatjoslav Richter, er spielte Trio mit Emil Gilels und Leonid Kogani. Die Liste seiner persönlichen Freundschaften liest sich wie die Aufzählung der bedeutendsten Persönlichkeiten aus der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts. Er war mit Mjaskowski, Prokofjew, Schostakowitsch, Chatschaturjan, Casals, Schnittke und Britten eng befreundet, aber auch mit Bernstein, Sauguet und Boulez. Ungefähr siebzig Kompositionen wurden ihm gewidmet. Hier eine kleine Auswahl:
INFO-Kasten:
Frangis Ali-Sade:
- „Oyan!“ für Violoncello solo
Sofia Gubaidulina:
- “Sonnengesang“ für Violoncello, Kammerchor und Schlagzeug
Gija Kantscheli:
- „Mit einem Lächeln für Slawa” für Violoncello solo
- „Stilles Gebet“ für für Violine, Violoncello, Vibraphon, Bassgitarre, Streichorchester und Tonband
Sergej Prokofjew:
- Sonate für Violoncello und Klavier op. 119
- Sinfonia concertante für Violoncello und Orchester op. 125
Alfred Schnittke:
- Epilog zur Ballettmusik „Peer Gynt“ in der Fassung für Violoncello, Klavier und Tonband
- Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 2
Dmitri Schostakowitsch:
- Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 1 op. 107
- Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 2 op. 126
Mieczyslaw Weinberg:
- Sonate Nr. 1 für Violoncello solo
Über Rostropowitsch
Wir haben unsere Autoren, die mit Mstislaw Rostropowitsch bis zu seinem Tod in engem Kontakt standen, sowie Alfred Schnittkes Witwe Irina zu ihrem Verhältnis zu diesem Ausnahmemusiker befragt. Lesen Sie hier, was wir gefragt und was sie geantwortet haben.
1. Ist es übertrieben, Mstislaw Rostropowitsch als einen politischen Musiker zu bezeichnen?
2. Welches Gewicht hatte seine Stimme und seine Kritik in seiner Heimat Russland?
3. Rostropowitschs musikalische Interessen waren ungewöhnlich breit. Gab es aber auch Musik, die er von ganzem Herzen ablehnte?
4. Inwieweit hat Rostropowitsch als Cellist das Wesen viele für ihn geschriebener Werke beeinflusst?
5. Wie haben Sie persönlich Rostropowitsch kennen gelernt?
6. Der Kontakt gerade zu Rostropowitsch dehnte sich zumeist ja auch weit über die Musik auf die privater Ebene aus. Wie war Ihr persönlicher Kontakt zu ihm in dieser Richtung?
Frangis Ali-Sade
1. In der Tat scheint es mir eine Übertreibung zu sein, R. als einen „politisierten“ Musiker zu bezeichnen. Ich kannte ihn viele Jahre hindurch und habe nie gehört, dass er politische Fragen erörterte. Eine Ausnahme bilden dabei selbstverständlich Fälle, wenn Künstler in der ehemaligen Sowjetunion verfolgt wurden. Ohne Bedenken stand Rostropowitsch unveränderlich auf der Seite Prokofjews, Schostakowitschs und Solschenizyns. Aber dabei handelte es sich um eine humanistische „Regung der Seele“ und keine bewusste und programmatische politische Tätigkeit eines Menschenrechtlers.
2. Obwohl unter Rostropowitschs privaten Freunden Präsidenten, gekrönte Häupter und prominente Politiker zu finden waren, hat er diese Freundschaften nie zu politischen Zwecken missbraucht. Mit sind einige Vorfälle bekannt, die von Warmherzigkeit des Präsidenten W. Putin ihm gegenüber zeugen, und trotzdem wandte sich Rostropowitsch nie mit irgendeiner Bitte ihn, weil er das für unzulässig hielt.
Slawa strebte nie danach, sich politisch zu betätigen, und es interessierte ihn nicht, inwieweit seine Äußerungen maßgebend waren. Er kritisierte nie Russland als solches, sondern äußerte kritische Bemerkungen gegenüber konkreten Personen – Beamten, deren Namen längst vergessen wären, wenn Slawa sie nicht in seinen Äußerungen verewigt hätte.
Er bemühte sich immer darum, Beziehungen zwischen Menschen, Gesellschaften und Ländern zu verbessern, und häufig gelang ihm das auch.
3. Slawa war immer offen für Neues in der Musik. Deswegen ist es kein Zufall, dass er eine riesige Menge an Premieren gespielt und dirigiert hat (z. B. A. Schnittkes Opern, die schwierigsten überhaupt), wobei viele dieser Werke ihm gewidmet waren. Negativ behandelte er nur alles Mittelmäßige, Talentlose und Gesichtslose in der Kunst. Auf eine erstaunliche Weise zog er begabte Menschen an und war Auslöser für neue Ideen und Projekte (in meinem Fall war das die Komposition einer neuen Oper mit Einbeziehung von Elementen der Mugham-Musik). Seine gewaltige Erfahrung als Interpret und Dirigent von Weltmaßstab erlaubte es Slawa, den Puls neuer Strömungen immer zu spüren.
4. Slawa war sehr wählerisch gegenüber Werken, die für ihn geschrieben wurden. Mir sind Fälle bekannt, in denen er Stücke, die ihm nicht gefielen, zurückwies und nicht aufführte, sogar trotz berühmter Namen und zahlreicher Bitten. Einmal ist das sogar während des Lucerne Festivals geschehen: Anstatt des angekündigten Werkes eines sehr berühmten Avantgarde-Komponisten spielte er einen Satz aus den Suiten J. S. Bachs. Die Premiere fand nicht statt, aber das Publikum war keineswegs enttäuscht, weil es sofort verstand, dass ein Musiker von Rostropowitschs Maßstab ein Recht hatte zu wählen, was er spielte und was nicht! Auf der anderen Seite hatte Rostropowitsch niemals Angst, auf einen neuen, noch völlig unbekannten Namen zu setzen. Seine Wohltätigkeit, zahlreiche Stiftungen und Stipendien für junge Musiker zeugen davon.
Ich hatte nicht nur ein Mal die Gelegenheit, Konzerten junger Musiker in Moskau, Paris oder Baku beizuwohnen und zu sehen, wie Slawa sich über ihren Erfolg freute, wohl nicht weniger als über seinen eigenen.
5. Ich habe Rostropowitsch seit den 1950er Jahren mehrmals in der Philharmonie in Baku gehört. Aber seine Arbeit aus der Nähe sehen und beobachten konnten die Einwohner Bakus erst während des Ersten Internationalen Violoncello-Wettbewerb, der im Staatskonservatorium von Aserbaidschan 1967 oder 1968 stattfand. (An die genaue Jahreszahl kann ich mich nicht erinnern. Es handelte sich um die Vorbereitung zum Tschaikowski-Wettbewerb in Moskau.) Selbstverständlich war Mstislaw Rostropowitsch als ehemaliger Einwohner Bakus der Vorsitzende der Jury und die Seele sowie das Zentrum dieser ganzen Veranstaltung. Besonders ist mir die dritte Runde des Wettbewerbs, die in einer feierlichen Atmosphäre in der Philharmonie stattfand, in Erinnerung geblieben: Alle Augen richteten sich auf Rostropowitsch, alle versuchten, an seiner Reaktion abzulesen, wer erster sein würde.
Damals waren die besten Cellisten der Sowjetunion in Baku versammelt, darunter Rostropowitschs Schüler David Geringas, Boris Pergamenschtschikow, Ivan Monighetti, – die zukünftigen Berühmtheiten. Erster wurde damals Geringas (und auch danach beim Tschaikowski-Wettbewerb).
Persönlich kennen gelernt habe ich Rostropowitsch viel später, in Luzern im August 1996 (Dort wurde meine Komposition „Crossing-II“ aufgeführt.). Ich wohnte dem Konzert bei, in dem Rostropowitsch das Haydn-Konzert herrlich spielte und Paul Sacher dirigierte. Das war sein letzter Bühnenauftritt und er dirigierte im Sitzen. Nach diesem historischen Konzert strömten alle ins Künstlerzimmer Rostropowitschs. Auch ich wollte ihn begrüßen. Trotz der vielen Menschen erinnerte er sich an mich (er wusste noch nicht, dass ich Komponistin bin, erinnerte sich an mich einfach als an eine Musikerin aus Baku, seiner Heimatstadt). Er fragte, wo ich gerade wohnte und wie ich nach Luzern kam. Ich erzählte kurz und am Schluss, als ich erwähnte, dass ich aus der weit entfernten türkischen Stadt Mersin angereist war, sagte er: „Wie hat es Dich denn dahin verschlagen?“ Diese Frage konnte ich nicht mehr beantworten, weil eine Gruppe von jungen japanischen Verehrern des Maestros ins Zimmer eindrang, die sich unbedingt mit ihm zusammen fotografieren wollten.
1997 feierte die ganze Welt Rostropowitschs 70. Geburtstag und die Hauptjubiläumsveranstaltung war eine grandiose Feier in der Pariser Grand opéra, der Frankreichs Präsident als Schirmherr vorstand. Es war auch der Präsident Aserbaidschans, Geidar Alijew, eingeladen. Es kam zu einem herzlichen Zusammentreffen Alijews mit Rostropowitsch, nach dem die Einwohner Bakus Rostropowitsch faktisch „zurückgewannen“. Der Maestro versprach dem Präsidenten, jährlich nach Baku zu kommen, um ein Konzert und eine Meisterklasse zu geben. Rostropowitsch hat sein Wort gehalten: Seit 1998 besuchte er jedes Jahr Baku, spielte ein Konzert und leitete eine Meisterklasse. Im Februar 2006 dirigierte er in Baku sogar ein grandioses Schostakowitsch-Festival, das eine Woche lang dauerte.
Als Komponistin nahm mich Rostropowitsch zum ersten Mal in Chicago wahr, bei einem Konzert Yo-Yo Mas im Rahmen des „Silk Road Project“ (2002). Leider war ich nicht zugegen. Ein Ensemble aus amerikanischen und aserbaidschanischen Musikern (sie spielten auf Volksinstrumenten) spielte zum Abschluss des Konzerts meine Komposition „Dervish“, ein Auftragswerk Yo-Yo Mas. Dieser wusste, dass Rostropowitsch sich im Publikum befand und bat Slawa nach dem sehr erfolgreichen Konzert auf die Bühne. Yo-Yo Ma sagte: „Leider habe ich nie bei Slawa studiert, aber ungeachtet dessen sehe ich mich als seinen Schüler, weil ich mit seinen Aufnahmen und seinen Konzerten groß geworden bin.“
Rostropowitsch war sehr bewegt und sagte, dass der Komponist aus Aserbaidschan und die Musiker an jenem Abend eine hervorragende Leistung zeigten, und dass er stolz darauf sei, ebenfalls aus Baku zu stammen.
Das alles erzählte mir Rostropowitsch selbst, der mich von Paris aus in Berlin anrief. Später berichteten mir Musiker aus Baku dasselbe.
Ich war natürlich sehr glücklich: Nach vielen Jahren unserer Bekanntschaft hat der Maestro endlich meine Musik in Chicago gehört, dazu auch noch von großartigen Interpreten gespielt: Yo-Yo Ma als Solo-Cellist und Alim Kasimov (Mugham-Sänger). Darauf begann zwischen uns eine Periode der Zusammenarbeit.
In Baku wurde (nach einer vollständigen Sanierung) die Wiedereröffnung der Philharmonie geplant. Als Dirigent für das Eröffnungskonzert war Rostropowitsch vorgesehen. Die feierliche Eröffnung fand am 27. Januar 2004 statt, wobei der Maestro meine Komposition „Hommage“ dirigierte.
Danach war Rostropowitsch bei meinem gemeinsamen Konzert mit Ivan Monighetti am 5. März 2004 im Saal der UNESCO zugegen. Er zeigte sich sehr begeistert über meine Kompositionen „Habil-Sajahy“ und „Music for Piano“ und fragte mich ausführlich danach, wie ich das Klavier präparierte.
Die nächste Etappe unserer Zusammenarbeit war sein Auftrag an mich, das Pflichtstück für Cello solo für den Internationalen Rostropowitsch-Wettbewerb im November 2005 in Paris zu schreiben. So entstand das Werk „Oyan!“. Rostropowitsch war sehr zufrieden damit, und es wurde sogar ein Sonderpreis für die beste Interpretation dieses Stückes ausgeschrieben. Diesen erhielt von mir im Théâtre du Châtelet die deutsche Cellistin Marie Luise Hekker.
In den letzten Jahren habe ich Rostropowitsch mehrmals in Baku und Paris getroffen. Und noch öfter in Moskau: bei seiner Goldenen Hochzeit, als er sogar mit Wischnewskaja einen Tango im Hotel „Metropol“ tanzte, bei der Feier zum 80. Geburtstag im Kreml, wo die Präsidenten Russland und Aserbaidschans, W. Putin und I. Alijew, anwesend waren und ihm die höchsten Orden überreichten. An diesem Tag, dem 27. März, fand der todkranke Rostropowitsch, blass wie ein Schatten, die Kraft zu lächeln, alle zu begrüßen und sogar noch eine kleine Rede zu halten. Mit einer energischen hellen Stimme sagte er: „Heute bin ich sehr glücklich, weil meine liebe Familie, meine teuren Freunde und meine begabten Schüler zusammen mit mir hier sind. Und ich möchte, dass ihr euch alle heute freut! Danke euch allen, dass ihr da seid und dass ihr bei mir seid!“
Das war überwältigend! Allen Anwesenden standen Tränen in den Augen, aber trotzdem lächelten alle, weil sie ihre Trauer dem Maestro nicht zu zeigen wagten. So ist er mir in Erinnerung geblieben, mit einem Glas perlenden Champagner in der Hand und den Worten: „Heute bin ich sehr glücklich!“
Jelena Firssowa
1. It would be a very narrow view on so great musician as R. was.
2. He had a great courage (only partly thanks to his world-fame as a great cellist ) to express publicly what the best part of Russian intelligentsia thought but could not say aloud.
3. I don't know.
4. I think all composers who wrote for him were so impressed by his talent and personality that inevitably composed their best compositions. For example cello concertos by Shostakovich and Prokofiev, Lutoslawski and Dutilleux, cello sonata by Britten.
5. I of course said him "hello" when met him inside of Moscow conservatoire in my student's time, but personally we met in 1997 on Kronberg festival dedicated to his 70th jubilee where his pupil Karina Georgian played the premiere of my chamber cello concerto written for this event. He told me that he loved my concerto very much and only regrets that it is not he performed it. He asked me to send him the music and asked Karina the permission to play it too. But unfortunately he never played my concerto and never conducted my Requiem on the poem of Anna Akhmatova as he was going to do, because of disagreement with Berlin Radio almost in the last moment! It was one of the greatest disappointments in my music life.
6. Since our meeting in Kronberg he always invited me and my family to all his concerts in London. We greatly enjoyed his performances and always had very interesting conversations with him afterwards.
Sofia Gubaidulina
1. Natürlich! Dies ist wieder einmal ein eklatantes Beispiel dafür, wie eine Formulierung sinnverfälschend wirken kann. Mstislaw Rostropowitsch ist ein absolut einzigartiges Phänomen. Und vor allem ein musikalisches. Bereits das musikalische Talent dieses Menschen ist derart groß, dass die vorgegebene Definition „politischer Musiker“ seine Persönlichkeit nicht nur reduziert, sondern sträflich verfälscht.
Natürlich war Rostropowitsch so vielseitig und so aktiv in seinem Leben, dass für ihn auch die Politik wichtig war. In Folge seiner unermesslichen Energie und Rechtschaffenheit zog es ihn immer wieder in alle krisenhaften Momente des pulsierenden Lebens. Und er befand sich stets im Mittelpunkt politischer und sozialer Ereignisse mit all seiner Kompromisslosigkeit, mit all seiner Furchtlosigkeit.
Doch bedeutet dies keineswegs, dass man ihm das Attribut „politischer Musiker“ anhängen darf.
2. Für die Funktionäre, also die politischen Beamten, hatte sein Wort seinerzeit eine vernichtende Bedeutung. Als das Land jedoch begann, freier zu werden, unterstützte sein Wort die noch sehr schwachen Keime unserer beginnenden Entsklavung.
Für die Bürger Russlands war seine Stimme stets eine Art weltanschauliche Orientierung, ein wichtiger Halt in ihrem Leben.
3. Das weiß ich nicht. Ich habe mit ihm nie über dieses Thema gesprochen.
4. Ich weiß nicht, wie dies bei anderen Komponisten war. In meinem persönlichen Fall war es die großartige Verbindung von akkurater Texttreue und phänomenaler Ausdruckskraft.
5. Dies geschah in den 70er Jahren. Ich schrieb gerade an einem Werk für Violoncello und Kammerensemble mit dem Titel „Detto II“, das ich seiner Schülerin Natalja Schachowskaja widmete. Nach der Uraufführung im Kleinen Saal des Moskauer Konservatoriums lud uns Mstislaw Rostropowitsch zu sich nach Hause ein. In der Küche (dem gemütlichsten Ort zum Teetrinken und Plaudern) war ein improvisiertes Abendessen aufgebaut, wie es damals bei Moskauern üblich war. Es war dort sehr einfach, ungezwungen und warm. Schon damals spürte ich in seinen Ansichten über die Musik und das Leben insgesamt eine große Nähe zu diesem Menschen.
6. Von besonderer Bedeutung waren für mich persönlich die Begegnungen mit ihm bei den Proben und den Aufnahmen meiner Werke. Recht häufig kam er auch zu uns nach Hause nach Appen.
Alle unsere Begegnungen waren für mich äußerst fruchtbar, vermochte er es doch, einen jeden, der mit ihm zu tun hatte, mit seiner Energie anzustecken.
Wenn ich meine persönliche Beziehung zu Mstislaw Rostropowitsch mit einem Wort charakterisieren sollte, würde ich sagen: eine energetische Verbindung.
Sofia Gubaidulina (Übersetzung: Hans-Ulrich Duffek)
Gija Kantscheli
1. In Anbetracht von Rostropowitschs unglaublicher Geselligkeit, wobei die „Großen dieser Welt“ genauso wie die ganz einfachen Leute mit ihm verkehrten, aber auch angesichts all seiner verschiedenartigen Aktionen, die der Weltöffentlichkeit bekannt wurden, war es zweifellos Rostropowitsch selbst, der einer mehrdeutigen Bewertung seiner vielseitigen Aktivitäten Vorschub geleistet hat.
Meiner persönlichen Meinung nach gab es zwischen seiner musikalischen, humanitären und gesellschaftlichen Betätigung stets ein Gleichgewicht. Ich bin davon überzeugt, dass das moralisch untadelige Handeln des Maestros stets von seinem inneren Wesen diktiert wurde und keineswegs von irgendwelchen Konjunkturen abhing. Wer Rostropowitsch gut kannte, zweifelt nicht daran, dass er in seinem täglichen Leben genauso aufrichtig und selbstlos handelte wie auf der Bühne. Daher ist die Bezeichnung „politischer“ Musiker für mich unzulässig.
2. In einem Land, wo unter dem Deckmantel einer Arbeiter- und Bauernmacht die harte Hand eines einzelnen Diktators regierte, wirkte die Existenz unabhängig denkender Menschen gleichsam als Widerpart zu einer Ideologie, die mit Gewalt durchgesetzt werden musste. Ich unterlasse es hier, die Namen all der bedeutenden Persönlichkeiten aufzuzählen, die in wechselnden totalitären Regimen schöpferisch tätig waren. Aus der Zahl derer, die einen unschätzbaren Beitrag zur Weltkultur geleistet haben, ragt der Name Rostropowitsch besonders deutlich heraus, dessen Autorität und Meinung bis auf den heutigen Tag uneingeschränkt geschätzt werden.
3. Der ungewöhnlich großzügige Rostropowitsch konnte immer wieder in herzliche Begeisterung ausbrechen, wenngleich dies aus meiner Sicht keineswegs bedeutete, dass er alle Dinge gleichermaßen positiv beurteilte. Ein Musiker seines Formats konnte nicht alles und jedes gleichermaßen akzeptieren, obwohl ich von ihm nie unverhohlen schroffe Verurteilungen gehört habe, war er doch mit großer Herzensgüte gesegnet.
4. Ich glaube, dass der Einfluss, den eine solch mächtige und faszinierende Persönlichkeit wie Mstislaw Rostropowitsch auf Komponisten ausübte, die für ihn Werke schrieben, sehr gewichtig war. Ich maße mir nicht an, im Namen meiner Zeitgenossen zu sprechen, und beschränke mich daher lediglich auf die Nennung dreier Namen, in deren Werken die Persönlichkeit Rostropowitschs nicht nur als Interpret, sondern auch als Mitautor spürbar ist: Sergej Prokofjew, Dmitri Schostakowitsch und Benjamin Britten.
5. Meine erste Begegnung mit Rostropowitsch fand 1976 in Washington statt, wo ich mich auf der Durchreise befand. Trotz unserer schwierigen Situation (Rostropowitsch war zu jener Zeit soeben die Staatsbürgerschaft der UdSSR entzogen worden, und ich war in ständiger Begleitung eines Vertreters der sowjetischen Botschaft) gelang es mir, ihn während einer Probe des Washington Symphony Orchestra kurz zu sehen.
Da dieses Treffen nur flüchtig war, betrachte ich als unsere eigentliche erste Begegnung jene, die 1993 im Berliner Hotel „Esplanade“ stattfand, als Rostropowitsch mit dem japanischen Kaiserpreis ausgezeichnet wurde. Diese Begegnung war es, die der Auslöser für unsere künstlerischen und privaten Kontakte war.
6. Von meinen persönlichen Kontakten mit Rostropowitsch könnte ich ohne Ende erzählen. Beschränken möchte ich mich hier auf eine Episode, die erneut die Einzigartigkeit dieses großen Musikers unter Beweis stellen soll.
An einem frühen Januarmorgen des Jahres 2003 setzt sich Rostropowitsch in Paris in einen Zug nach Brüssel. Wahrscheinlich hatte er seine Reisetermine speziell so geplant, dass er zu jener Zeit gerade in Paris war. In Brüssel angekommen, steigt Rostropowitsch in ein Taxi und kommt nach 40 Minuten in der berühmten Klinik des kleinen Provinzstädtchens Aalst an. Um 8 Uhr betritt er das Krankenzimmer, wo meine Frau und mein Sohn ihn erstaunt begrüßen. Nach meiner Operation, zu der ich fünf Minuten vor Rostropowitschs Ankunft gefahren worden war, werde ich in den Auwachraum gebracht und erst gegen Abend in noch halbschläfrigem Zustand zurück ins Krankenzimmer. Meine Gefühle beim Anblick des an meinem Krankenbett sitzenden Rostropowitsch kann ich nicht beschreiben. Selbst heute – nach vier Jahren – erfüllt mich die Erinnerung an jenes Erlebnis mit einem Gefühl der Begeisterung über diesen in jeder Beziehung unvergleichlichen, großartigen Menschen.
Ich bin meinem Schicksal unendlich dankbar dafür, dass es mir die Möglichkeit geschenkt hat, in einer engen Beziehung zu Rostropowitsch zu stehen, der für mich schon zu Lebzeiten wie ein von der Güte Gottes privilegierter musikalischer Gestalter war.
Irina Schnittke
„Ich bin ganz entschieden gegen die Formulierung „politischer Musiker“ in Bezug auf Rostropowitsch, weil als „politischer Musiker“ ich diejenigen nennen könnte, die ihre Kunst zu der Ideologie des Sowjetischen Regimes anpassten.
Die geniale Gabe des Musikers Rostropowitschs, das ganze Leben diente der Kunst, die moralisch den Menschen erhob und zur Entwicklung der Seele und Gedanken beitrug.
Er ist eine große Persönlichkeit gewesen, überzeugter Christ mit hohen moralischen Prinzipien.
Selbstverständlich, konnte er Ungerechtigkeit, Lüge und Gewalt nicht ertragen.
Rostropowitsch war sein ganzen Leben treu zu Russland, man kann ihn als Vorbild des Bürgertums nennen, er war geistige Stützte und Hoffnung für viele Leute. Rostropowitsch war nicht nur außergewöhnlicher Erscheinung in der Kunst, sondern auch viel für die Gesellschaft tätig. Er war Stolz der Nation.
Wir haben uns kennen gelernt, als Jura Baschmet einen Brief von Rostropowitsch aus Paris zu Alfred brachte. Rostropowitsch bekam von Baschmet eine Aufnahme des Bratschenkonzertes von Schnittke. Nach der Aussage Baschmets, brachte die Musik Rostropowitsch zum weinen, worauf hin er einen sehr emotionalen Brief an Alfred schrieb mit der Bitte etwas für ihn zu komponieren. Darauf trafen sie sich und es entstand eine warme, offenherzige Beziehung — die beiden verstanden sich sofort. Später waren die Aufführungen des 2. Cellokonzertes, 6. Sinfonie, der Oper „Das Leben mit dem Idioten“, der Oper „Gesualdo“; des Trio für Geige, Cello und Klavier; „Epiloge“ für Cello und Klavier mit Kassettenaufnahme, 2. Cellosonate und Solostück „Nostalgie“.
Starke Emotionen, Ideenreichtum, feiner Humor und unendlich sprühende Energie haben den Umgang mit Rostropowitsch bei den Proben und im einfachen Alltagsleben unvergesslich gemacht. Konzerte mit ihm versetzten mich in Entzückung und waren ein Genuss.
Sein privates Leben ist fast unmöglich von seinem musikalischen und gesellschaftlichen Leben zu trennen.
Im Laufe der 20-Jährigen Freundschaft mit ihm habe ich nie gehört, dass Slawa sich ausruhte. Er spielte riesige Zahl von Konzerten, sowohl als Cellist und auch als Dirigent, kümmerte er sich immer um seine Familie. Er half mit allen mitteln seinen Freunden und einfachen Menschen, die Hilfe brauchten. Sowohl Schwierigkeiten einzelner Personen, als auch globale politische und gesellschaftliche Probleme berührten ihn in seinem ganzen Leben. Es scheint, als ob er sich um sich selbst nicht sorgen würde.
Er war ein unglaublich interessanter Gesprächspartner. Er besaß ein außerordentliches Gedächtnis und ein Talent als geistreicher Erzähler.
Ich vergesse es nie bis zum Ende meines Lebens, wie Slawa, trotz seiner unendlichen und unermesslichen Arbeit immer Zeit fand, den schon sehr erkrankten Alfred zu besuchen. Alfred und Slawa hörten zusammen Musik, ihre Gesichter strahlten vor Freude und Glück. Man könnte sagen, dass sogar Alfreds Krankheit abnahm, als Slawa einen Teil seiner unglaublichen Energie Alfred weiter gab.
Ich kann bis jetzt nicht glauben, dass Rostropowitsch nicht mehr unter uns weilt. Dieser Verlust ist unersetzlich.
Dmitri Smirnov
1. It would be very wrong to regard him as just a ‘political’ musician. He was a great musician and honest and brave man that made him ‘political’.
2. His open criticism was an enormous support for all of us who lived that time under the stupid and repressive regime.
3. I do not remember him expressing his dislike of any music. He was always passionate about music he loved, and, probably avoided to speak on something he did not like so much. In some cases he just noted that he doesn’t understand some piece of music.
4. To write for Rostropovich was a greatest privilege, and therefore the composers always tried their bests. Composers’ attitude to his unique and strong personality and of course great musicianship was always reflected in the most of the works written for of dedicated to him.
5. I met him long time ago in Moscow when came to each of his concerts, but only in February 2001 Sofia Gubaidulina prorerly introduced me to him. He immediately told me that he is enraged with the Russian government and Putin who just returned to life the old Soviet Stalinist Anthem. I answered with a joke that it would be great to have a sarcastic cello concerto based on all Russian and Soviet Anthems. Slava admired this idea and without delay commissioned me to compose such a concerto. Slava expressed a great enthusiasm for my piece when it was written, saying that he is learning and planning to perform it. When I visit him at his Paris flat, he even showed me the cello part of my concerto with his pencil fingerings. Quite soon he almost stopped to play cello publicly, but every time we met asked me: “Don’t give it to any cellist before I die”.
6. He was always so friendly to everyone that they all regarded him immediately as a closest friend. This is what I felt every time meeting him.